von der schwierigkeit den herbst in ein kuvert zu stecken

 

2000

Von der Schwierigkeit den Herbst in ein Kuvert zu stecken

Ein nie dagewesener Herbst.  Ein weißes Blatt am Bücherbaum.

eingezwängt zwischen die seiten

einer vergilbenden zeit

wird die fette kröte

noch einmal zum wasser  getrieben

lichter  verschieben schatten

das maul wird breiter

die nägel bleiben zugespitzt

im tümpel glänzen ringe

versteinert windet sich die schnecke

im berg. ein felsen stürzt ins tal.

brenn dornbusch!

aus tiefvermoosten rissen ziehen

sonnenarme schleier.

Die Kröte bläht sich auf, setzt sich breitbeinig auf das Podest zwischen die beiden Katzengöttinnen und verlangt zunächst nach einem brombeerroten Lippenstift. „Kiss me, when we touch“ quillt es aus ihrer Gurgel. Sie schlägt ein Bein über das andere, verlangt nach brombeerrotem Nagellack, rülpst: „So einfach geht das nicht, meine Liebe. Nein so einfach nicht“ Rülpst noch einmal. „Fangen wir einmal bei „fett“ an.
Fett. Ich?  Das ist doch eine ausgesprochene Frechheit. Und was bitte, ist eine vergilbende Zeit?  Wen meinst Du mit „das maul wird breiter, die nägel bleiben zugespitzt? Mich? Doch nicht mich…“ Sie grinst und ein brombeerroter Halbkreis umgibt ihren Kopf. Nun lackiert sie sich ihre Zähennägel.

„Zugespitzt,“ schnaubt sie. „Ich bitte Dich, hast zu keine anderen Wörter? Zu mir passende Wörter? Wörter wie Vomaussterbenbedroht. Wichtig für den boilogischen Kreislauf.“ Die Kröte schüttelt verächtlich den Kopf. „Ich mache ja auch kein politisch unkorrektes Gedicht über Dich. Ich lasse meine Bilde hinter meinen Augen
und belästige nicht mir unbekannte Wesen mit ihnen.“ Ich sehe, daß die Kröte die Wahrheit spricht. Die eingesperrten Bilder lassen ihr die Augen aus dem Kopf quellen. Nun schaut sie mich noch einmal verletzt und vorwurfsvoll.

Ich schäme mich. Und bevor mich die versteinerte Schnecke, der Dornbusch und die Sonnenarme auf die Anklagebank zerren können, nehme ich das Gedicht und verstecke es vor mir selbst.

Herbst, höre ich da die wohlbekannte Stimme aus mir, Herbst…

die erde liegt bereit zu sterben

und borstig ist die einst so grüne haut

ein strassenkünstler träumt vom erben.

in plastikfässern gärt das kraut.

vergiß den öltank nicht zu füllen!

die radiatoren solln gelüftet sein!

die fenster schließen dicht und brüllen

kannst du nun ungehört tagaus tagein.

wer zeit und geld hat wird ein flugzeug nehmen,

wird, wie die alten, gegen süden ziehn.

riecht meer und blumen und muß sich nicht sehnen

nach einem kleid, das schultern zeigt.

der münzenhut am pflaster ist geliehen,

sein fuß wippt mit, wenn er die annenpolka geigt.

„Nein“ sagte er. „Nein. So nett bin ich wiederum auch nicht, daß ich mich von dir benützen lasse. Such dir einen anderen, über den du dich lustig machen kannst. Ich habe für meine Kunst gelitten! Wermuthstropfen, ha, Tränenbäche haben meine Wörter getränkt, haben meine Sprache wachsen und groß werden lassen.

Mich in ein Kuvert sperren? Mir eine Briefmarke auf den Satztanfang kleben lassen… ach, das bißchen Papier dazwischen, meinst du er könnte den Druck, den Du im Augenblick des Festwischens  der Marke auf mich ausüben würdest ungeschehen machen.

Nein. Mich zwängst du nicht unter eine fremde Adresse, mich nicht.

Die Stimme  beginnt Monatsnamen zu flüstern. Von Innen schleicht sie sich in meine Ohren, in mein Hirn.

september

die luft glasklar,

die tage kurzgeschnitten

herbstzeitlosen zwischen harten gräsern.

brombeeren brummen

zungen blau

tschatschau

ein grüner igel platzt.

oktober

mantel aus dem schrank

sonst wirst du krank

trauben auf den tisch

der sturm macht zisch.

noch tragen bäume bunte kleider

doch bald bald doch leider leider

werden sie nackt im flockentempel tanzen

es lockt die ferne

ach wie gerne..!

doch dann wie immer:

heizungswarten

letzter aufruf.

november

hinterm glaslaternenglas

flackern

lichter

engel werden

reingewaschen

heidekraut als winterfarbe

alle seelen ruhn

in frieden

und die sonne

glänzt das meer in einen spiegel um

in dem der himmel sich erkennt.

Die Stimme meint was sie mir sagt wär neu und so noch nie gesagt. Ich gähne laut, die alten Bilder vor Augen und eine herbstliche Müdigkeit überfällt mich.

Winterschlaf. Die Sehnsucht nach blühenden Wiesen. Die Enge eines Kuverts ist selbst dem Herbst nicht zumutbar …die Stimme raunt mir ein Frühlingsgedicht ins Herz…Vögelgezwitscher und Bienengesumm…ich sehe sechs Buchstaben H E R B S T
und beginne sie neu zu ordnen:

Reh, streb her sehr sehr her.